Jugend
Ganz im Gegensatz zu Astrid Lindgrens glücklicher Kindheit war ihre Jugend eine düstere Zeit. „Das Teenageralter war ein Stillstand, tonlos und leblos, ich war oft melancholisch. Und ich fand mich, wie so viele, so hässlich, und ich war auch nie verliebt. Alle anderen waren ständig verliebt ...“
Astrid Lindgren hat berichtet, dass sie sich so genau daran erinnert, dass die Kindheit vorbei war, und wie schrecklich es war, einzusehen, dass sie nicht mehr spielen konnte: „Ich erinnere mich noch ganz genau. Wir haben immer mit der Enkeltochter des Priesters gespielt, wenn sie in den Ferien nach Näs kam. Aber eines Sommertages, als sie kam und wir wie üblich anfangen sollten zu spielen, fiel uns plötzlich auf, dass wir nicht mehr spielen konnten. Es ging einfach nicht. Es fühlte sich albern und traurig an. Was sollten wir denn bloß machen, wenn wir nicht spielen konnten?“
Aber die Teenagerjahre waren auch eine Zeit der Entwicklung und Revolte. Astrid Lindgren hat sich alle Filme und Theaterstücke angeschaut, die in dem kleinen Städtchen Vimmerby gezeigt wurden. Außerdem liebte sie es, zu tanzen - sowohl zu traditioneller Musik als auch zu der neuen und sehr beliebten Jazzmusik. „Ich machte eine kolossale Veränderung durch und wurde schnell und lustig, was man zur damaligen Zeit eine Jazztante nannte.“
Astrid Lindgren war die erste Frau in dem kleinen Städtchen, die sich ihre Haare kurz geschnitten hat. Das hat für viel Aufregung gesorgt und wenn sie auf der Straße Menschen traf, wurde sie gebeten, ihren Hut abzunehmen, damit sie das Spektakel bewundern konnten. Hanna und Samuel August waren nicht sehr amüsiert. „Als ich nach Hause kam und mich auf einen Stuhl in der Küche gesetzt haben, wurde es vollkommen still. Niemand sagte ein Wort, sie liefen nur in aller Stille um mich herum.“
Von Vimmerby nach Stockholm
Als Sechszehnjährige, nach ihrem Examen, wurde Astrid Lindgren von der Zeitung Vimmerby Tidning angestellt. Sie korrigierte und schrieb kleine Notizen und kurze Reportagen. Der Chefredakteur der Zeitung war Reinhold Blomberg und ihm war Astrid Lindgrens Begabung bereits früher aufgefallen. Aber Reihnholds Entzücken ging weit über Astrids Schreibtalent hinaus. Im Frühling 1926 wurde Astrid Lindgren klar, dass sie schwanger war.
Als neuzehnjährige, unverheiratete Frau schwanger zu sein, war ein Riesenskandal, der eine Schande bedeutete, nicht nur für Astrid selbst, sondern für ihre ganze Familie. Reinhold Blomberg war außerdem in eine aufreibende Scheidung verwickelt und bereits Vater von sieben Kindern. Es gab keine andere Alternative für die junge Astrid Lindgren, als Vimmerby zu verlassen und nach Stockholm zu gehen.
„Noch nie gab es so viel Klatsch und Tratsch über so etwas Unbedeutendes, zumindest nicht in Vimmerby. Gegenstand dieses Tratsches zu sein, fühlte sich ungefähr so an, wie in einer Schlangenhöhle zu liegen, und ich fasste den Entschluss, diese Schlangenhöhle so schnell wie möglich zu verlassen.“
Erste Jahre in Stockholm
Astrid Lindgrens erste Jahre in Stockholm waren furchtbar - arm und einsam. Sie wohnte in einem Zimmer in Östermalm zur Untermiete und machte eine Ausbildung zur Sekretärin am Bar-Lock-Institutet. Astrid Lindgren und Reinhold Blomberg hielten Kontakt und hatten vor, zu heiraten, sobald Blombergs Scheidung rechtskräftig war.
Am 21. November fuhr Astrid Lindgren nach Kopenhagen, um ihr Kind zu gebären. Das Rigshospitalet dort war das einzige Krankenhaus, in dem man bei der Geburt nicht den Namen des Vaters angeben musste. Astrid Lindgren hatte eine Familie gefunden, bei der sie wohnen konnten und die sich auch um ihr Kind kümmern würde, bis sie es nach Hause in Schweden mitnehmen konnte. Die Familie hieß Stevens und bestand aus der Mutter Marie Stevens, ihrem Sohn Carl und einem schwedischen Jungen mit dem Namen Esse, der ein paar Monate alt und auch bei der Familie untergebracht war. Die Mutter von Esse war genau wie Astrid Lindgren unverheiratet schwanger geworden.
Lasse
Astrid Lindgrens Sohn Lars, oder Lasse, wurde am 4. Dezember 1926 geboren. Astrid Lindgren verbrachte die ersten Wochen mit ihm zusammen, bevor sie wie üblich nach Hause zu ihrer Familie in Näs fuhr, um Weihnachten zu feiern - alles, um dem Tratsch in Vimmerby nicht noch mehr Zündstoff zu geben. Anschließend ist sie nach Stockholm zurückgekehrt, um ihre Sekretärinnenausbildung am Bar-Lock-Institutet wieder aufzunehmen. Erfahren Sie mehr über Lasse
Das Bar-Lock-Institut
Das Bar-Lock-Institut war eine Privatschule in Stockholm, die nach einer amerikanischen Schreibmaschine benannt war. Die Kurse umfassten 10-Finger-Schreiben und Stenografie, jedoch auch Buchhaltung, Rechnungsführung und Geschäftskorrespondenz in unterschiedlichen Sprachen. Die Schülerinnen waren junge Frauen, die meistens aus anderen Teilen des Landes kamen. Während dieser Ausbildung wohnte Astrid Lindgren in einer Pension in der Artillerigatan in Stockholm, in der noch andere junge Studentinnen wohnten, die abends und an den Wochenenden viel miteinander unternahmen.
Ihre erste Anstellung als Sekretärin bekam Astrid Lindgren 1927 in der Radioabteilung der Svenska Bokhandelscentralen, wo sie Beschwerden von Kunden beantwortete, die nicht richtig begriffen, wie sie ihre neuen Radiogeräte zum Laufen bringen sollten. Das Radio war das neue „heiße“ Technik-Gadget bei den Schweden und jeder, der etwas auf sich hielt, wollte ein eigenes haben.
Sie lebte ärmlich und hielt sich mit den Essenskörben am Leben, die ihr die Familie aus Näs schickte.
„Es war ein exklusiver Genuss, sich eine anständige Scheibe Brot abzuschneiden und erst mit der echten Butter aus Vimmerby und dann einer Scheibe von Mamas Käse zu belegen, um sie schließlich verspeisen. Dieser Genuss wurde jeden Morgen wiederholt, solange noch etwas in dem Korb übrig war.“
1928 bekam Astrid Lindgren eine Arbeit beim Kungliga Automobil Klubben (K.A.K), wo Sture Lindgren ihr Chef war. Sie fuhr alle drei Monate nach Kopenhagen und schrieb viele Briefe an Marie Stevens und Lasse. In den Antworten erfuhr sie, wie Lasse wuchs und sich entwickelte. Jetzt brach Astrid auch definitiv mit Reinhold Blomberg. Sie kann sich nicht vorstellen, mit ihm in Vimmerby zu leben und eine Mutter für seine sieben Kinder zu werden - von denen einige genauso alt waren, wie sie selbst.
Im Dezember 1929 kam Marie Stevens wegen Herzbeschwerden ins Krankenhaus. Astrid reiste hinunter nach Kopenhagen, um Lasse nach Hause zu holen. Er war damals drei Jahre, sprach Dänisch und betrachtete die Familie Stevens als seine Familie. Als er begriff, dass er nicht mehr dorthin zurückkehren würde, war er verzweifelt, „da legte er sich vornüber gebeugt auf einen Stuhl und weinte leise. Ganz leise, als ob er einsah, dass es doch keinen Sinn hatte, die machen mit mir sowieso, was sie wollen! Dieses Weinen weint immer noch in mir und das wird es wohl bis ans Ende meiner Tage tun. Vielleicht war es um dieses Weinen willens, dass ich in allen Zusammenhängen immer so stark die Partei der Kinder ergriffen habe ...“
Lasse nach Stockholm
Als Lasse nach Stockholm kam, hatte er Keuchhusten und er hustete nächtelang. Astrid Lindgren versuchte verzweifelt, ihr Leben in den Griff zu bekommen und arbeitete weiterhin als Sekretärin, musste jedoch bald einsehen, dass es so nicht funktionierte. Ihre Mutter Hanna schlug vor, ihn nach Näs zu bringen und im Mai 1930 fuhr Astrid Lindgren mit ihrem Sohn nach Vimmerby. Mit Pferd und Wagen fuhren sie durch Vimmerby, um öffentlich ein Zeichen zu setzen, dass Lasse zur Familie gehört und dem ganzen Tratsch ein für allemal ein Ende zu machen. Lasse bleibt ein Jahr in Näs, wo Hanna und Samuel August und Astrids Geschwister Gunnar, Stina und Ingegerd sich um ihn kümmern.
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In Stockholm machte ihr Chef Sture Lindgren Astrid immer mehr den Hof. Er hatte sich in seine Angestellte verliebt und sich entschieden, sich von seiner Frau scheiden zu lassen. Sie heirateten im Frühling 1931 und zogen in eine Zweizimmerwohnung in der Vulcanusgatan am St. Eriksplan in Stockholm. Endlich konnte Astrid Lasse für immer nach Hause holen.
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