Das Alter und der Tod
„Ich habe nichts dagegen zu sterben. Aber nicht morgen. Ich habe erst noch einiges zu erledigen.”
Obwohl Astrid Lindgrens Sicht und Gehör mit dem Alter immer schlechter wurden, machte sie bis in die 1990er Jahre in hohem Tempo weiter. Mit Hilfe von Hörgerät, Brille, Vergrößerungsglas und ihrer Sekretärin Kerstin Kvint beantwortete sie Briefe, sie behielt den Überblick über ihre Geschäfte und setzte den Kampf für eine umweltfreundlichere Gesellschaft fort. Sie schrieb Artikel im Expressen und in der Zeitschrift LAND, zusammen mit anderen, wie Marit Paulsen, Stefan Edman und dem Chef von Volvo, Pehr Gyllenhammar.
Ihre guten Freunde fingen an, wegzusterben, Anne-Marie Fries verstarb im Dezember 1991.
„Ich hatte mir gewünscht, dass die Trauer mit ihrem Tod vorbei sein würde, aber als es dann soweit war, war es nicht zum Aushalten. Es ist falsch zu sagen, dass die Freundschaft nach 77 Jahren vorbei war, die Freundschaft bleibt weiter bestehen, obgleich eine von uns tot ist.“
Anne-Marie, Astrids beste Freundin
Astrids beste Freundin hieß Anne-Marie, genannt Madicken (Madita) – diesen Namen gab Astrid später einer ihrer Protagonistinnen. Anne-Marie wohnte nicht weit von Näs entfernt in einer Villa auf dem Weg nach Vimmerby. Astrid und sie lernten sich als Siebenjährige kennen, als Anne-Marie mit einem Fassreifen an Astrid vorbei rollte und Astrid wissen wollte, wohin sie unterwegs war. Sie begleitete Anne-Marie nach Hause und von da an waren sie ein Zweiergespann.
Mehr über Anne-MarieDer Märchenzug
Die letzte große künstlerische Arbeit von Astrid Lindgren war der Märchenzug in Junibacken in Stockholm. 1994 fingen sie und Illustratorin Marit Törnqvist an, ein Manuskript zu schreiben und die Welten aus den Büchern zu schaffen.
„Zuerst habe ich vorgelesen. Nachdem ich ein Stück gelesen hatte, konnten wir über die Szenografie sprechen und die richtigen Worte finden. Es war ein unglaubliches Erlebnis, dabei zu sein, während sie den richtigen Ton suchte. Jedes Mal war ich überrascht von ihrer Art, sich auszudrücken. Als ob sie alle Wörter in die Luft warf, die Hälfte auffing und sich dann für eine ganz eigene Reihenfolge entschied.“ Es dauerte fast zwei Jahre und am 8. Juni 1996 eröffnete Junibacken für die Öffentlichkeit.
1995 war Astrid Lindgren dabei, als der erste Spatenstich für das Astrid Lindgren Kinderkrankenhaus des Karolinska Krankenhauses gemacht wurde. Sie hielt eine Rede, in der sie die autoritären Kinderkliniken vergangener Zeiten mit dem neuen Kinderkrankenhaus verglich. Dort sollten in Zukunft die Kinder und ihr Wohlbefinden sowohl die Pflege als auch die Gestaltung des Krankenhauses steuern - und der Respekt für die Kinder zentral stehen. Das war ihr Wille, als sie dem neuen Krankenhaus ihren Namen lieh.
„Der Tod, der Tod“
Astrid Lindgren und ihre Schwestern telefonierten jeden Tag bis zu Ingegerds Tod 1997. Margareta Strömstedt erzählt Astrid, dass sie am Anfang jedes Gespräch sagten: „Der Tod, der Tod, der Tod“, als eine Art, das Schlimmste und Unausweichlichste zu benennen, den Tod mit einzuberechnen und zugleich die ganze Sentimentalität zu entschärfen.
Astrid Lindgren 90 Jahre
Im gleichen Jahr, in dem Ingegerd starb, wurde Astrid Lindgren 90 Jahre. Er wird mit großem Pomp in Vimmerby gefeiert, und der Staatsminister war anwesend - aber das Geburtstagskind selbst war nicht dort. Sie feierte stattdessen zusammen mit ihren nächsten Angehörigen in sicherem Abstand zu Kinderparaden, schwenkenden Flaggen und dem Scheck des Staatsministers in Höhe von 7,5 Mio. SEK, genauso viel, wie der Nobelpreis, den sie nie bekommen hat. Das Geld war für den neuen Astrid Lindgren-Hof in Vimmerby bestimmt.
In Stockholm lieferte die Post 14 Säcke mit Briefen zu ihr nach Hause, sie füllten das ganze Wohnzimmer, und ihre Tochter Karin half ihr, die Briefe aus allen Winkeln der Erde zu lesen.
„Da hat Mama mich angeschaut und gesagt ,Findest du das hier nicht merkwürdig?’. ,Ja, schon’, hab ich gesagt, weil ich das fand. Aber dann habe ich einfach weitergemacht und den nächsten Brief vorgelesen. Und als sie erfuhr, dass sie zum „Schweden des Jahres in der Welt“ gewählt wurde, hat sie zwei Tage lang darüber gelacht, wie unsinnig das war, ,uralt, halbtod und total verrückt’ wie sie war.“
Im Dezember 1997 kam Boris Jeltsin, Russlands erster demokratisch gewählter Präsident, zu Besuch nach Schweden. Er traf Astrid Lindgren beim offiziellen Mittagessen der Regierung. Die Überschriften in den schwedischen Zeitungen am nächsten Tag lauteten: „Jeltsin traf Astrid Lindgren.“ Es besteht kein Zweifel, wer bei dem Mittagessen am wichtigsten war.
„Liebe kleine Krummelus, niemals will ich werden gruß.“
aus Pippi will nicht groß werden, Pippi Langstrumpf in Taka-Tuka-LandDer letzten Zeit
Im Alter von 91 Jahren hatte Astrid Lindgren einen Schlaganfall und es fiel ihr immer schwerer, sich zu bewegen und an öffentlichen Zusammenhängen zu beteiligen. Kerstin Kvint besucht sie mehrere Tage in der Woche und hilft ihr mit allen Briefen, die geöffnet und beantwortet werden müssen. „In der ersten Zeit nach dem Schlaganfall war sie sehr trübselig und verschlossen und sie schaffte es nicht richtig, die Briefe zur Kenntnis zu nehmen. Aber ich habe genau wie immer vorgelesen und sie dann selbst beantwortet. Und so ging unsere Zusammenarbeit bis Weihnachten 2001 weiter. Damals war sie bereits einige Zeit viel fröhlicher und aufgeweckter und sie konnte lachen und lange Sätze selbst formulieren.“
Im Januar 2002 ist Astrid Lindgren Zuhause in der Dalagatan gestorben. Ihre Tochter Karin war dort und schon bald kam die nächste Familie, um Abschied zu nehmen. Draußen auf der Straße versammelten sich Tausende Stockholmer, um Blumen niederzulegen, Kerzen anzuzünden oder einfach nur still zu stehen. Astrid Lindgren bekam fast ein Staatsbegräbnis. Der Sarg wurde mit Pferd und Kutsche durch Stockholm gefahren und ganz hinten lief ein weißer ungesattelter Hengst. Das Begräbnis fand am 8. März statt, dem internationalen Frauentag. Hunderttausende Stockholmer säumten die Straßen und folgten der letzten Fahrt des Sarges in die Storkyrkan in der Stockholmer Altstadt Gamla Stan.
Unter den Rednern auf der Beerdigung befindet sich ihre Freundin Margareta Strömstedt.
„Es gibt Dinge, die man tun muss, selbst wenn sie unbequem und gefährlich sind und man sie am liebsten gar nicht machen möchte. Weil man sonst kein Mensch ist, sondern nur ein Häuflein Dreck.’ Astrid Lindgren war ein mutiger Mensch, und überhaupt kein Häuflein Dreck. Und in ihrem Körper, der in den letzten Jahren immer schwächer und gebrechlicher wurde, lebte das Kind aus Bullerbü weiter. Sie, die niemals das intuitive Gefühl dafür verlor, was es bedeutet, ein Kind zu sein. Sie, die wusste, dass wir weinen müssen, so viel wir können - aber noch mehr lachen.“